Interview mit der Künstlerin Veronika Schubert
Für Veronika Schubert stellt Sprache in gesprochener und schriftlicher Form den Mittelpunkt ihrer Kunst dar. Ihre Arbeiten umfassen Trickfilme, Videos, Fotografien, Collagen sowie Text- und Textilarbeiten. Die Künstlerin sammelt Sätze, aus denen sie neue Kreationen konzipiert. Indem sie sie aus dem Kontext entreißt, schenkt sie ihnen eine neue Bedeutung.
Ihre Spezialität ist der größtenteils in zeitintensiver Handarbeit hergestellte Trickfilm, der im Anschluss noch digital verfeinert wird.
Zurzeit ist ihre Videoarbeit „MINDSET“ im ASIFAKEIL und die eigens fürs Q21 / MuseumsQuartier kreierte Collage „Die Kunst, …“ in den Q21 Schauräumen zu sehen.
Im Interview mit Magdalena Winkelhofer spricht sie über ihre Projekte und gibt Einblicke in ihre spannende Arbeit.
MW: Sprache ist das Ausgangsmaterial für (fast alle) deiner künstlerischen Arbeiten, wie kam es dazu und was bedeutet Sprache für dich?
Veronika Schubert: Eine gewisse Sprachaffinität hatte ich schon immer. Ich schreibe den Text nie selber, sondern finde es spannend zu zitieren. Dafür sammle ich nun schon seit über 20 Jahren Zeitungsüberschriften. Das gedruckte Wort ist ein wunderbarer Rohstoff, der über Tages- oder Wochenzeitungen geliefert wird. Für mich macht das Aus-dem-Kontext-reißen der Sätze, sie neu zu kombinieren und in einen anderen Zusammenhang zu transferieren einen unglaublichen Reiz aus. Es entsteht so etwas Neues und Eigenes.
MW: Deine Collagen „Standardsituationen“ setzen sich aus Zeitungsüberschriften zusammen. Unter welchen Auswahlkriterien hast du diese gesammelt? Wie gehst du in der Praxis vor?
Veronika Schubert: Ich habe dafür ein ganzes Regelwerk. Zuerst habe ich die Überschriften ausgeschnitten und in Mäppchen gesammelt. Mit der Zeit sind nun zwei meterhohe Kistenstapel entstanden, die mit unterschiedlichsten Überbegriffen gefüllt sind. Das sind Thematiken wie „Identität“, „Gemeinschaft/Wir“, „Kunst und Kultur“, „Fragen“ oder „Absurdes“. Neben meinem physischen Archiv habe ich auch ein digitales angelegt. Aus diesem Rohstofflager stelle ich oft auch meine Ausstellungstitel zusammen. Ich verwende immer die Originaltypografie und vermerke Quelle und Datum auf der Rückseite. Mein künstlerischer Eingriff besteht darin, die Überschriften neu zusammenzusetzen und sie bewusst in einen anderen Kontext zu bringen.
© Veronika Schubert
© Veronika Schubert
MW: Du hast eigens fürs Q21 / MQ das Cover des Monatsprogramms für Dezember 2022 – Jänner 2023 gestaltet und es ist auch in den Q21 Schauräumen zu sehen. Was war deine Motivation?
Veronika Schubert: Ich möchte, dass die Menschen darüber reflektieren, was Sprache im öffentlichen Raum sein kann, dass sie bewusst wahrgenommen wird. Das Tolle ist, dass sich jede:r im öffentlichen Raum bewegt, auch Personen, die sonst keinen Zugang zu Kunst haben. Man kann also die gesamte Gesellschaft ansprechen und durch gut gewählte Sätze niederschwellig sehr viel Aufmerksamkeit generieren.
MW: Deine neu konzipierten Satzkreationen kann man auch als „Schriftliche Interventionen“ auf Fassaden im öffentlichen Raum sehen, was willst du bei den Betrachter:innen auslösen?
Veronika Schubert: Ich möchte, dass die Menschen darüber reflektieren, was Sprache im öffentlichen Raum sein kann, dass sie bewusst wahrgenommen wird. Das Tolle ist, dass sich jede:r im öffentlichen Raum bewegt, auch Personen, die sonst keinen Zugang zu Kunst haben. Man kann also die gesamte Gesellschaft ansprechen und durch gut gewählte Sätze niederschwellig sehr viel Aufmerksamkeit generieren.
© Veronika Schubert
© Veronika Schubert
MW: Wie setzt du Sprache in deinen Videoarbeiten ein?
Veronika Schubert: Da gehe ich ähnlich wie beim Sammeln von Print-Sätzen vor, es ist nur ungemein komplizierter. Um eine Toncollage zu erstellen, transkribiere ich die Sätze zuerst, um sie visuell präsent zu haben und neue Kombinationen ausprobieren zu können. Das ist eine ziemliche Herausforderung. Deshalb – und natürlich auch wegen der Einzelbildgestaltung – ziehen sich meine Trickfilmprojekte teilweise über ein Jahr, auch wenn das Endergebnis nur wenige Minuten lang ist.
MW: Für die Herstellung deiner Trickfilme erfindest du sehr aufwendige Techniken, die mit zeitintensiver Handarbeit einhergehen. Kannst du kurz auf die Arbeiten „Tele-Dialog“, „In erster Linie“ und „Tintenkiller“ eingehen?
Veronika Schubert: Am Anfang mache ich eine Audio-Collage aus gesammelten Ton-Fragmenten, zu einem Thema, das mich interessiert oder bewegt. Dann geht’s an die visuelle Umsetzung, da habe ich das Bedürfnis, passend zum Inhalt den Konnex zur Technik herzustellen. Das Schöne am Trickfilm ist, dass man für jeden Film eine neue Ästhetik, eine neue visuelle Welt, erschaffen kann.
Bei meinem Diplomfilm „Tele-Dialog“ geht es um Nachmittags- und Vorabendunterhaltungssendungen im Fernsehen, die sind von Inhalt und Machart her sehr simpel, also „einfach gestrickt“, von solchen Formulierungen gehe ich dann gerne aus. Dieser Trickfilm besteht also aus 800 einzelnen Strickbildchen, die ich selber hergestellt habe. Dafür habe ich ein Vorlagenvideo erstellt, welches ich in Pixelbilder zerlegt habe, diese ausgedruckt und als Strickanleitung verwendet: pro Pixel eine Masche. Die Technik hat sich als sehr ambitioniert herausgestellt. Das Ergebnis waren „Wollwürste“, die ich bügeln, stärken und auf ein Nagelbrett aufspannen musste, um sie abfotografieren zu können.
© Veronika Schubert
© Veronika Schubert
Der Trickfilm „In erster Linie“ behandelt die Flüchtlingssituation vom Herbst 2015. Das war ein sehr „gravierendes Thema“ für mich, daher habe ich für die Animation etwa 3.000 Glasplättchen graviert. Dargestellt sind Umrisslinien von Wolkenbewegungen, die ich zuvor mit Zeitraffer aufgenommen habe, Vorlagen erstellt und mithilfe von Rotoskopie in das Glas graviert habe. Die Soundcollage, bestehend aus TV-Sätzen von Politiker:innen und Nachrichtensprecher:innen, verdeutlicht die Hilflosigkeit und Unfähigkeit der österreichischen Regierung.
© Veronika Schubert
© Veronika Schubert
Bei „Tintenkiller“ habe ich etwas aufgegriffen, was für eine ganze Nation ein typisches Sonntagabendphänomen ist, was sehr viele Leute, egal aus welcher Gesellschaftsschicht, verbindet: den Krimi „Tatort“. Dafür habe ich 3.000 Bilder mit Tinte grundiert, gewisse Stellen mit Tintenkiller rausgelöscht und mit weiteren 3.000 Einzelbildern, bei denen ich die feine Mimik mit Feder gezeichnet habe, digital zusammengestellt. Beim Krimi wird eine Geschichte geschrieben, dafür steht die Tinte und ein Leben ausgelöscht, dies versinnbildlicht der Tintenkiller. Inhaltlich habe ich zentrale, immer wiederkehrende Elemente, wie Leichenfund, interne Kommunikation der Ermittler:innen, hektische Telefonate und Verfolgungsjagden komprimiert und miteinander verwebt. Aus diesem Konzentrat habe ich eine abstrakte Geschichte entstehen lassen.
Durch solche unglaublich aufwendigen Techniken steckt in jedem einzelnen Videoprojekt mein ganzes Herzblut.
© Veronika Schubert
MW: In deiner Videoarbeit „MINDSET“, die zurzeit im ASIFAKEIL im MQ gezeigt wird, kritisierst du den auf den sozialen Netzwerken grassierenden Selbstoptimierungs- und Produktivitätszwang, kannst du mir dazu mehr erzählen?
Veronika Schubert: Der Algorithmus von Instagram will mir etwas aufzwingen, von dem er glaubt, dass ich es brauche. So etwas regt mich auf, darauf muss ich künstlerisch reagieren. Vor allem die gesponserten Werbebeiträge, die man oft kaum von Beiträgen von Freund:innen unterscheiden kann, sind hier das Ausgangsmaterial. Diese Werbung prasselt aber nicht nur digital auf uns ein, sondern wird auch per Post analog verschickt. Aus diesen Werbeprospekten habe ich Kreise ausgestanzt, sie aufgeklebt, eingescannt und später mit einer Mosaiksoftware weiterverarbeitet. Ein 3D Programmierer hat labyrinthartige Räume nach meinen Anweisungen gebaut, deren „Tapeten“ ich aus solchen Kreisen gestaltet habe.
„MINDSET“ fängt mit groben, großen Kreisen an, die immer kleiner und feiner werden, bis sich herausstellt, dass es sich um Screenvideos vom Scrollen durch Social Media handelt.
In der Ausstellung im ASIFAKEIL werden die ausgestanzten Kreise des Films im realen Raum als Element eingesetzt. Der ASIFAKEIL – der Schauraum der Animationsvereinigung ASIFA Austria im Q21 – ist gerade für solche Experimente an der Schnittstelle von Animationsfilm und Rauminstallation ein idealer Ort und ist daher enorm wichtig für die Trickfilmszene. Durch die freie Zugänglichkeit bei den Q21 Schauräumen, wird dem Trickfilm, der sonst eher ein Nischendasein fristet, ein Platz im öffentlichen Raum gegeben, wodurch Besucher:innen des MQ besser angesprochen werden können.
ASIFA Austria hat mich immer stark gefördert. Es gibt ein breit gefächertes Spektrum an Angeboten, Projekten, Veranstaltungen, Festivals und Publikationen.
© Veronika Schubert
MW: In deinen Arbeiten schwingt häufig Humor mit, warum und wie setzt du diesen ein?
Veronika Schubert: Ich liebe es Sätze neu zu kombinieren, so kann Humor entstehen. Das kann ein ganz brachialer aber auch sehr differenzierter und subtiler sein. Ich will, dass meine Arbeiten neben einem künstlerischen Anspruch auch einen gewissen Unterhaltungswert haben. Diese Mischung ist mir wichtig, da man so Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten besser erreichen kann. Humor kann ein Zugang sein, der es erleichtert gewisse Themen anzusprechen.
Das Interview mit Veronika Schubert wurde am 1.12.2022 auf der Homepage des MQ MuseumsQuartier Wien veröffentlicht.
Fragen: Magdalena Winkelhofer
https://www.mqw.at/mq-journal/interview-mit-der-kuenstlerin-veronika-schubert